4
Okt
2021

Elke erzählt

seit ein paar stunden überlegte ich mir
ein anderes leben wäre eine sache
die ich gut finden könnte
ich sagte mir
die eigentliche anarchie ist das bürgerliche
ist das gutbürgerliche

ich versuchte mir meine erinnerung nach hause zu holen
ich versuchte zu jonglieren
probierte es mit atempausen
ich fuhr nach staufenberg
in der nähe mochte kurzeck spazieren gehen
immerzu ging er dort spazieren und erklärte
den toten die welt die seine war
die immer zu ihm gehören würde
ob er nun tot war oder nicht

ich erinnerte mich an einen schüchternen
er war wie ich zu einem lehrgang
er roch nach frischer schuhcreme
sein black sabbath t-shirt passte gar nicht zu seinem image
er merkte wahrscheinlich nicht dass er ein image hatte
aber er hatte eines

er betrachtete die welt mit den augen eines irrläufers
er würde sicher in der psychatrie landen
er würde den kaffee für die kranken und die gesunden kochen
der kaffee vereinigte sie
machte alle unterschiede zunichte
aber was war das für eine geschichte
das war eine ganz andere geschichte

ich fragte ihn zum abschied
adressenaustausch?
ich hatte vorher nicht mit ihm geredet
es kam mir einfach bequemer vor nicht mit ihm zu reden
ich hatte diese bluse an
sie war aufgeknöpft
ich wusste warum
ich wollte sehen wie er reagierte
ob er reagierte oder ob er nur dachte
was ist es nur
dass unsere augen sich ständig entblättern wollen

einverstanden sagte das black sabbath tshirt und er
er murmelte so etwas ähnliches
nie hatte er geschrieben
er dachte sicher an die bluse
an die brüste
die ihn ansahen dass seine brille beschlug
es war nur ein kurzer moment
den vergaß ich wieder, dachte ich
aber ich vergaß ihn nicht

denn nun wollte ich ein bürgerliches leben führen
eines das überlegt wie man die ranzige butter einsparen kann
eins dass überlegt was man am wochenende machen könnte
ich fand heraus wo er wohnte
er wohnte unter dem ring
dort wohnten alle die nicht über dem ring wohnten

ich wohnte, wenn ich wohnte irgendwo dazwischen
ich fragte mich was er so machte
ob er die toiletten säubert für ein bißchen geld
ob er es schafft herauszufinden aus was das leben gemacht ist

ich sah ihn vor der türe stehen
ich hatte geklingelt
ich fragte ihn
erinnerst du dich noch
er sah mich an, als hätte ich ihn gefragt wo die fundgrube sei und
er könnte es einfach nicht sagen

ich erklärte es ihm
ich sah es ihn an
er erinnerte sich an die offene bluse
an die geräusche die meine brüste machten als sie von ihm angesehen wurden
oder er erinnerte sich nicht
hatte es aufgegeben sich zu erinnern

willst du suppe mitessen fragte er
ich hob meine mütze und hatte große lust
sie in die luft zu werfen
ich würde suppe bekommen, dachte ich
das ist viel mehr als irgendeine heirat

jeder ist ein künstler

wenn ich ein schiff fahre
wenn ich mit dem schiff reise
ich bin in jedem fall ein matrose

ob ich die augen schliesse
ob ich sie öffne
ich bin in jedem fall ein schleusenöffner

schreib ich ein gedicht
sind wir es
die dem gedicht den rechten weg weisen

das gedicht geht hinaus
so weit
bis wir es endlich erkennen und vergessen

Schneewittchen

die welt ist anders
kein spiegel kann es sehen
kein spiegel sagt
ich weiß es nicht
der spiegel weiß es
er sieht es aber nicht

komm du verschlafenes nest
wecken wir die zeit
die zeit ist kreidebleich
die zeit kommt von überall her

da vergeht der morgen
der morgen danach
der könig schlief aus den
händen der königin
einen traum

ein vogel sucht ein nest darin
die jäger fangen an zu klagen
sie verdecken den himmel
sie zerschneiden den trend
den trend zu vergessenen orten
wir sehen ihn
wir haben in ihm übernachtet
wir sind vögel
wir wissen was ein vogel ist
ein vogel ist einer der mitsingt
wenn andere verstummen

dann dies
eine tochter
eine nicht besonders schöne tochter
sie ist die schönste
jeder kann es sehen
jeder vergeht wenn er sieht was sie sieht wenn sie in den spiegel sieht

wer ist die schönste fragt schneewittchen den vogel
fragt sie das letzte hemd
wir kennen dich, rufen die sprachlos
du hast einen sitzen, der wartet schon länger als hundert jahr

oh denkt sie, er kommt gerade recht zur unzeit
zur unzeit kommen alle recht
was ist mein prinz, was willst du
dich, sagte er, als wäre sie ein warenkorb oder etwas in der art
sie hält eine vase fest
sie schaut aus dem fenster
sieh nur, sagt sie lächelnd, da kommt ein großer schwarzer fogel
fogel, sagt der prinz, es heisst nicht fogel, es heisst vogel, du
bist so schön, sagt er
i written a song for you

please, bat sie, bittet sie, ruft sie, lass mich denken, lass mich
denken du seist der fogel, der geschmeidige luftkissenfogel, ein fogel zu groß um ihn ernsthaft mit v zu schreiben..

das alles geschieht
geschah
wird irgendwann geschehen
sieben augen betrachten es aus der ferne
ein paar schreie lächeln sich dazu
eine vermischung der worte
irgendwo hängt ein spiegel
davon wird nie wieder die rede sein

Hundert Jahre

(für Ilse Aichinger)

die raben sitzen glücklich im gedicht
sie wissen nichts von dem fenster
aus denen womöglich ICH schaue

ich bin niemand sagt eine stimme
die vergessen werden will
das offene fenster schreit

es schreit
das ist symbolisch
das endet dort wo das schweigen beginnt

sie fällt über unsere sprache ohne zu stolpern
sie gibt der sprache ein geschenk

jemand geht barfuss durch das brennen
jemand stürzt ab ohne zu fallen

ich bin niemand sagt eine stimme
ich bin eine klage
ich vergesse sie oft

ich vergesse sie wie man kleidungsstücke vergisst
wie man sich an alles erinnert an dass man sich nicht mehr erinnern kann

deine zeile liebkost einen schatten und bleibt
eine kleine ewigkeit

das springen vergessen
die nacht umflogen

du wirst geboren um deinem schatten
zu sagen
dass er nicht bleiben kann

wörter sind spuren
spuren können vergessen machen
können schritte produzieren

irgendwo dort eine verlorene einsamkeit
ein fenster das offen stand
eben noch

jemand hat es verschlossen
ohne dich
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