überall die selbe zeit
überall das vorige
das verstaubte
dass was wir schon hatten
überall das neue
das unkluge
das versagen wird
wie das alte auch

sie riefen
das ist lüge
sie sahen nicht
die menschen
die mit dünner haut
mit müden knochen
mit hungrigen augen
sie ansahen
ihre fahne legten sie ab
damit sie sprachlos
weiterexistierten
niemand macht so etwas riefen sie
das ist lüge
das ist gemein
denkt an die zukunft
das ist die zukunft
die männer und frauen aus den lagern in omaska
brennt sie nieder
tut so als wäre es nicht wahr
aber es geschah
die augen suchen einen weiteren betrug und
vertragen diese blicke nicht

mit eigener stimme
die stimme eines anderen hören
sagen
man möchte rufen und erkennen
sagen
man möchte dasein wenn es an der zeit wäre
sagen
man kocht nudeln und gehe hinterher ins bett
rufen
man möchte schweigen und händchenhalten und
hinterher war alles verdorben
weil jemand aufwacht und den traum erzählt

es war einmal ein hase
oder war es ein schaf
oder doch eine rose
es war sicher keine rose
es war ein salatblatt
nein, moment
es war ein plötzlicher moment
oder doch eine geste
es war sicher eine geste
eine geste die einen den ganzen verdammten tag daran erinnerte
dass es diese geste gab
nein
es war ein gast
ein gast der aus dem fenster sah
apfelwein trank
nachdachte
ist das noch die erde oder ist es doch nur irgendeine sinnlose idee

dunkel ists marie
ohne marie ists dunkel

es ist so dunkel marie
so dunkel

wir sind zu spät
zu spät gekommen

wir waren schon da
haben es nicht bemerkt

marie, das sind worte
manche heben sie in die luft

manches vergräbt sich so leicht marie
marie, marie was ist ein wort

ein wort ist doch nur
ist doch auch nur
marie

was ist es
was will ich sagen
will ich sagen

das ist die angst
die kommt immer
wenn man jemand verliert

wie lange marie
wie lange hab ich dich schon verloren
marie das ist zeit
der kann man nicht begegnen

das ist zeit
daran haben wir uns gewöhnt

nur hin und wieder, wenn alles so traurig ist
frage ich mich
was tust du so

der tod ist das einzige gebiet dass man nicht
erobern kann
der einzige reichtum der allen gehört
auch dir marie
auch dir

manchmal sagt der große ivo andric
zum großen danilo kis
manchmal ist alles nicht genug
selbst wenn wir atmen
selbst wenn wir ohne licht dasitzen
warten
bis uns irgendwer zuruft
ja was
was ruft man uns zu fragt ivo
du fasst die worte zusammen als wären sie ein vermögen wert
dabei halten sie dich doch nur fest
wer den krieg banalisiert ist ein idiot
wer etwas großes aus ihm macht auch
die uhren vermuten es
es ist die sehnsucht die sticht
wenn der schmerz uns berührt
wenn die stille die namen der toten aufzählt
wenn das gejohle und die besserwisserei für einen moment aufhört und
irgendwer einen scherz macht und weinen muss

er sagt
ich hab ihm das nasenbein gebrochen
er sagt
er lacht jetzt nicht mehr
ich frage mich warum er nicht lachen soll
jetzt wo ohnehin alles egal ist

in den seitengassen, das war schon immer
etwas besonderes
man stritt sich über haferflocken
beim geräusch von verlorenen urin
von briefen, die man nicht schrieb
weil keine/r der gerne cool sein wollte
briefe schrieb

nur einer, der schrieb
der schrieb gegen die sonne an
der brannte mit sich selber durch
er wollte schiedsrichter werden
weil ihm das gerechte aber völlig gleichgültig war
wollten sie ihn nicht

er hatte eine trillerpfeife
mit der er den hunger stillte
er hatte die angewohnheit nachts
nur mit einem finger an der stirn
herumzumarschieren

die angst marschiert mit, sagte er
wenn er vor mir stand
wenn er vor mir stand
glaubte ich einen mund in seinem gesicht zu sehen
wer bist du, fragte ich ihn dann und
wollte doch nur sehen
ob die sache mit dem mund stimmte

"Schon seit über einem Monat, dort, wo die Demarkationslinie verläuft, liegen die Körper der Umgekommenen. Man kann sich ihnen nicht nähern; die weißen Transporter der UNOPROFOR fahren nicht dorthin, um ssie aufzusammeln: unbestattet liegen sie da und ihre Seelen irren umher mit den Krähen der Stadt."

Sarajevo Blues von Semzedin Mehmedinovic...Verlag Hainholz



ein traum
wir liegen als wäre schnee unser vater
als wären die berge verwandte
als wäre was dunkel ist momentan
nur irgendein kluger rat

was ist vorbei?
der krieg
was hat das zu bedeuten
unsere rollen brechen ab
wir
die wir nur puppen sind wie
herr karadzic sagte
puppen die das sprechen verlernt haben
die nicht mehr weiter wissen

als ob wir auf godot warten
die ganze strecke lang
die schritte nimmt man uns nicht ab

wir waren hände
wir lagen in den nächten unter uns
wir waren dass was man gestern noch das glück nannte

sprachlose die am zug sind und schweigen

der junge dreht sich immer wieder
zum kamerateam
das zittern ist nicht zu übersehen
das zittern des kameramannes
was denkt er
denkt er
was suche ich hier
das ist doch kein ort mehr
es riecht nach brand und tot
es riecht nach dem trotzigen lebensmüden leben einer
generation die nicht aufgeben will
er fragt sich
warum blende ich das nicht aus
ich muss nur erwachen und neben mir eine frau
die wieder gehen wird
die mir erzählt
wie es ist in einer belagerten stadt
dass man die augen weder öffnen noch schliessen kann
es ist alles immer da
die sehnsucht und das grab
der tod und die sekunden davor
der junge geht weiter
das kamerabild bleibt nicht stehen
hinter den minuten warten die mutigen heckenschützen und
werden den jungen erschiessen

die vergessliche und der spontane sitzen
im bekifften park und schauten
sich einen radiergummi an

was ist mit uns fragte sie
fasste sich in die goldenen locken und
lachte

lachte in die tiefe hinein
in die gelbe tiefe
in die tiefe die vergessen hatte was
sie vergessen sollte

wir waren zu fünft sagte sie
ale trugen pistolen und
an den wänden krochen grossartige
tiere

spinnen die aus dem spinnen nicht mehr herauskamen
fliegen ohne obdach und eine gewitterwolke
die alles durcheinanderbrachte

wir lachten die unbedeckten
die geleckten und
angeschmierten
wir hatten lust echo zu rufen
und dann kamen alle wieder zurück
wir riefen
echo
aber der mut hatte den sinn verloren
zeit zu vergessen was wörter sind
sagte sie
während er nickte
als wäre es ein abgesang und er ein teil davon

wir sollten päckchen packen

wir verschenken nichts
wir geben nur das was wir nicht mehr besitzen an die weiter die es
nötiger haben als wir

zu sagen sie wären hungerleider
wäre ein schlechter witz
wenn wir nichts geben
leiden wir hunger

vielleicht das wir ein wort das wir gerne mit
in die trommel nehmen
in die hin und hertrommel
in die trommel die wir schlagen
die wir einschlagen
in diese widerspenstige trommel
ohne fenster
ohne gitter
ohne irgendwelche freude belassen wir es dabei
wir schnäbeln einander
frieren uns ein
wir lassen uns hängen
ja
wir sind sprachlose die unetwegt sprechen
warum sind wir so
warum gehen wir nicht weg
wir müssten weggehen
alles mitnehmen dass ein bißchen weniger leer ist als wir
uns irgendwie durchfüttern
glauben fest daran dass wir wenn wir die türe schliessen
wirklich gehen
was bedeutet das
noch ein bier rufe ich
der soldat steht neben mir
du hast einen bart, sage ich
er sieht wie ein bekannter komiker aus
nur dass nichts komisches an ihm ist
genau wie an dem komiker
viele nennen sich komiker
es scheint eine krankheit zu sein
sie machen die ganze zeit witze
sie drehen fast durch
ihr mund könnte sprachlos sein
aber sie müssen reden
wie oft wir das schon erwähnt haben
dass wo immer wir uns begegnen
uns irgendein stummer schrei enttäuschend anblickt
als wären wir ein märchen oder gingen wenigstens knapp an einem vorbei

der kampf geht weiter holger
sagte er am grab
aber der kampf ging nicht weiter
er blieb stehen
er blieb die ganze zeit stehen
schau nur rudi
denk dir einen kohlenträger
jahrelang brachte er die kohle
sein buckel war krummer als jedes geschäft
dass sie heute machen
ohne dass sie an deine worte denken
dieser kohlenhändler ist letztens gestorben
man hat ihn begraben und keiner hat gesagt
der kampf geht weiter
rudi.
ich weiß
du kannst nicht überall sein
du schon gar nicht
aber die anderen
die anderen die so gerne
anderen ein schlechtes gewissen einreden
die sprüche an die wand malen oder
kriege dazu nutzen
die rüstungsausgaben in die höhe zu treiben
der kampf geht weiter rudi
nur ganz anders
viel dümmer
rudi
als wir je vermutet hätten