19
Sep
2021

Elke erzählt

ich war schon lange nicht mehr im dorf gewesen
nun saß ich im zug und fragte mich
wie ich an die geldbörse herankommen könnte
mit der
der clown vor mir ständig herumspielt
bestimmt hatte er sie selber gestohlen

ich blickte ihn an
ich sagte
ich hab mal einen soldatenhelm gefunden
der sah so ähnlich aus wie sie

er blickte hinab
hinab in die zukunft
das konnte ich deutlich sehen

hunde und berge setzten sich ab
ein grüner wanderte mit einem plakat
von einem wahllokal zum anderen

ich schrieb einen brief an meinen ehemann
lieber ehemann, schrieb ich
ich bin spontan ins dorf gefahren
ein paar taube ohren anschreien
sie verbiegen
in die luft schauen
in den geruch von schweiss und sanfter musik fliehen
geniessen
wie sie mich anschauen
wenn wir es unter den tischen treiben

wie lange ist das her
das vollmond war und deine haut
nach lakritze schmeckte
wir vögelten ohne dass wir es geschlechtsverkehr nannten
wir stiessen einander an und wurden ganz trunken

ein paar hilfspolizisten klopften bei uns an
sie hatten das leise fliehen von geräuschen gehört und
dachten
das sehen wir mal nach

geben sie mir die geldbörse sagte ich dem mann
sie gehört doch gar nicht ihnen
ich hielt sie schwerelos in den händen
warf sie in die luft und bei gemünden
stieg ich aus und summte ein lied
dass ich vergraben würde
in der nacht

mein lieber ehemann.

ich hab mit diesem spanier
gesprochen
er riecht so gut
er sieht aus wie ich dich
mir immer vorgestellt habe
er ist weißbinder und
wenn er schweigt verfärben sich die worte
umkreisen die gespräche der anderen
die vor einem stuhl stehen
der jede bedeutung verloren hat

Elke erzählt

es war ein historischer tag
denn ich hatte ja gesagt
er nahm meine hand in seine und
schien sie dort zu vermessen
ich schaute ihn an
fragte mich
an was er wohl nicht dachte
an die olympischen spiele in sapporo
an winchester
an die vielen denkmäler mit unbekannten soldaten
an die neue art hallo zu sagen, mochte er wohl auch nicht denken
er strich mir übers haar
so wie es nur tiefseetaucher tun können
er trug feste arbeitshandschuhe
stolz zeigte er mir seinen impfpass
er sah mich an und sagte
und jetzt du

Wie machen wir das

ich schreibe
du bleibst

ich schreibe
du bleibst

draußen bleiben
schreiben bleiben

ich gehe
du gehst

du drehst deinen schatten zu mir
du sammelst postkarten die du nicht schreiben wirst

ein vogel auf einem käfig
das sieht immer nach riesenspaß aus

du öffnest das fenster
du kommst herein

deine augen tragen die farbe des offenen fensters
ich bleibe allein

Elke erzählt

er mochte diese schulranzending
ich meine, er spitzte bleistifte davor
erzählte wie er früher beinah den klassensprecher
verprügelt hätte
weil er klassensprecher nicht leiden konnte
heute legte er den arm um mein lieblingsshirt
er streichelte es
bis ganz tief unten
ich mag es wenn er von seiner pistolensammlung redet
ich fragte ihn, hast
du schon mal auf eine/n geschossen
natürlich, sagte er
ich schiess auf alle die eine abkürzung suchen
er lachte
cool
er war standfest
ich stellte ihn mir mit einem wachturmheft
vor einem wasserstandsmelder vor
weißt du dass ich noch nie, sagte er
du weißt schon
ich knabberte an einem knäckebrot
er hielt eine tennissschläger in der hand
wäre es ein tennisschlager wäre es etwas ganz
anderes
er nickte
er gab mir recht
ich zog die stiefel aus
was ist, fragte ich
öffne das fenster sagte er
ich sah ihn an
bist du sicher, fragte ich
ich bin es
ich öffnete es
er sprang hinaus
ein kugelschreiber blieb in der luft
er saß unten
trank mit cindy einen kaffee
du bist nett, sagte sie
ich weiß, sagte er

Elke erzählt

du möchtest den jungen von nebenan hören
wie er sich fürchtet
wie er sich vor dem eigenen abschiedsbrief fürchtet

du hörst ihn atmen
du hörst wie er die suppe erkennt
wie er die suppe in seinem mund erkennt und
wie er schlürft das erkennst du auch

du dachtest du wärst darüber weg
du hast das shirt angezogen und den rest und
hast ihm gesagt
dass er gehen soll

das fenster stand offen
es roch nach alten apfelschalen
nach gehilfen und toastern die mit
sich sprachen und überhaupt mit nichts
einverstanden waren

dein vater, ein alkoholiker wie er in
den sachbüchern stand
öffnete die augen
er griff nach einer flasche
er griff nach dem ersten durst
er dachte
ich klopf mal bei ihr an

es klopfte und du dachtest dass das klopfen nicht mehr endet
du hattest große lust dich aus dem zimmer zu schleichen
die tropfen zu erkennen die unter deinen augen weiterschliefen
dir brannte das genick
es war
als hättet ihr es das erste mal getan

das fenster stand offen
wie auf einem sprung
der vater schrie nach schnaps
aber der schnaps hörte nicht hin

es roch alten nächten
nach populären pistolen
nach vergrabenen
nach ideen die man sich zusammenspann
die nichts miteinander zu tun hatten

er dachte, es geht vorbei, sie hat
mich schon vergessen
aber du hast ihn nicht vergesssen
du erinnerst dich nur nicht mehr an ihn
nicht mehr an das rasiermesser unter den achseln
den verbrecherblick
den blick eines königes der verraten wurde von den eigenen leuten

jemand flog aus der türe
jemand kam herein
schnaps sagte der vater der vor ihm stand
während du bereits geschichte warst
geschichte die sich entfernt
geschichte die sich wiederspiegelt in fremden augen
in anderen plänen
die nichts mehr zu tun haben mit dir gehen an dir vorbei
du möchtest ihn zulächeln
du möchtest sie fragen
wohin so ein abschied geht
wenn er geht

während er sich die schuhe ansieht
die lippen aneinanderpresst
mit den schuhen wird er gleich draußen sein
das war gestern vor mehr als fünfundvierzig jahren
er ging schnaps für den vater holen
er wird die halbe flasche selbst austrinken und
wasser reinschütten
er wird an dich denken
so wie man an alles denken kann was einem nicht mehr betrifft
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