8
Nov
2021

Vergrab es

vielleicht ist es so
dass man nichts vergessen kann
keine handlung
keine lippen die dich vermissen
im traum

im traum ist alles in bewegung
läuft alles verkehrtherum
da kommt erst die vernichtung und
dann die hoffnung

überall verschmiertes blut
vom jagen
vom gedichte auswendig können
vom hände falten

niemand versteht
niemand versteckt das verstehen weil man es nicht mehr findet
alles sehr bequem
die hände auseinander

die gespräche auseinander
die berührung
das meer

was wir vergessen ist an was wir uns erinnern
und an was erinnern wir uns

ein bitterböser morgen
eine flauschige bettdecke in der halbstarre
die wirklichkeit verkauft
die nacht
der vogel der die nacht immer anschaut
nichts anderes
immer nur eine

7
Nov
2021

Elke erzählt

am bahnhof saß er
mit dem letzten fass bier im arm
ganz feste drückte er es gegen seine brust
er kam mir nicht betrunken
sondern eher leer
vor
er kam mir vor wie einer
der gerne mal etwas getrunken hätte und
diesen wunsch nur beim trinken erkannte

manchmal rief er etwas
es klang wie der name eines vogels oder
einer ameise von der er glaubte dass er sie gut kannte
er war ein demokrat
er glaubte gott sei auch einer

manchmal erzählte er mir seine träume
er träume er sei johanna von orleaon
ich sagte ihm
ich träume ständig ich sei goethe
ich sitze auf einem bügelbrett und
überlege
und ich ärgere mich auf die natürlichste weise
denn mir will einfach keine zeile einfallen

er betrachtet mich
eines tages
betrachtet er mich
ich weiß es
er sitzt jeden tag am bahnhof und wartete darauf
er trinkt aus dem fass
er trinkt geräuschlos

er scheint den himmel nicht zu mögen
denn er schaut kaum hin und wenn er doch einmal hinschaut
dann zornig
als hätte er ihm etwas genommen und
gäbe es nicht mehr her

6
Nov
2021

Einmal

einmal werde ich vergesslich sein
werde von der spur abkommen
lande im schnee
bei den mittagsaugenkirschen
sammle mein glück aus dem pfandflaschenatem
ihre schnellen augen
bewundern die stille mit der sie
mich begleitet
sie ist hungrig
ich mit tauben ohren ausgestattet
höre ihren gesang
frevelhaft
beschaulich
wir kürzen uns ab
begegnen uns niemals
kommen uns näher
in dem wir unsere namen
vorgehen lassen

5
Nov
2021

Sie kehrt den Besen entzwei

sie läuft vergessend wer sie ist
über die dächer der besoffenen stadt

bürgertelefone sind besetzt
drahtzäune vor dem mund

gespräche nur noch über die bibel und
was gott dazu sagen würde

keine aufgeschlossene türe
wer vergessen hat wo er wohnt
wohnt nun nicht mehr

sie läuft wie eine gejagte dem abgrund hinterher
sie eilt hinauf

sie spricht mit den pfützen
sie erkennt von nahen
wie weit sarajevo
von gießen entfernt ist

gespräche die nur stattfinden
damit man mal darüber geredet hat

morgen gibt es suppe in der kneipe
zum max
aber der max hat die kneipe längst
aufgegeben

jemand ist wach
zündet drei kerzen an
jemand singt und
denkt
es ginge immer so weiter

Der Traum der Gänse

manchmal träumen
die gänse
vom meer

manchmal
träumt das meer
die gänse

manchmal ist alles
so
wie
es nie war

manchmal geht ein
licht an
ohne
dass es nötig war

ohne dass es jemand
tun musste
fing es an
oder es endete
auf der stelle

überall dort
wo noch etwas war
wurde es begraben

es waren tolle zeiten
die welt dachte die gans
sei das meer

das meer streckte sich aus
doch es reichte nicht

leicht

es ist leicht ein gedicht zu schreiben
sich von ihm tragen zu lassen
im recht zu bleiben
auch in dem gedicht
nicht davon abzulassen das opfer zu sein
das opfer schreibt das gedicht
der täter rauscht davon

es ist immer die nächste narbe die zählt
die nächste wirklichkeit an die man nicht glaubt
es ist dieses unmögliche
das licht in der dunkelheit
der farbenfrohe gesang eines betrunkenen

es ist kein nebel im gedicht
nur der schatten eines rohbaues
es ist dieses ding irgendwie betroffen zu sein und
zu glauben man könnte es ändern mit einem gedicht

es ist dieser ort
diese zeit
dieser unmögliche zeitvertreib
es ist diese angst
woher kommt diese angst
ist es das gedicht?

4
Nov
2021

Julia

hey julia, ruft romeo
vereinfachen wir die handlung

an was denkst du
ich denke an deine lippen und
dass sie schmecken wie alles ungesagte

was ist ungesagt
ungesagt ist dass über was wir
im schlaf sprechen

wir sprechen nicht im schlaf
nein, wir sprechen nicht
aber wir sagen uns was und das
kommt sogar ohne gesicht aus

ohne gesicht und ohne jede betrachtung
einfach nur so
als wären wir immer da

wir kämpfen gegen windmühlen
selbst wenn wir schweigen
hören wir die verzweiflung mit
der anna karenina zu uns spricht

sie spricht nicht
nein
aber sie ist eine landvermesserin die vergessen will

vergessen können wir gut
aber nur wenn wir uns ans vergessen erinnern
rauchende worte
dunkle buchstaben
die toten beginnen zu erwachen

sie erwachen wie die leute die am morgen
lippen berühren
schweig
ja ich schweig
was soll man auch sonst tun
es gibt verbindungen die bestehen
als hielte man für eine ganze ewigkeit den atem an

das tun sie doch gerne
sie fragen nicht mehr
nein
sie tun es einfach

julia, wir kratzen das glück
wir sammeln die augen auf
für jede betrachtung vergräbt der himmel
eine berührung
als könnte man das sagen
als könnte man einer berührung sagen
was sie ist

3
Nov
2021

eugen onegin

plötzlich ist das wort da
man dreht es lauter
man versündigt sich noch

die schreie lärmen
die stumm sind schweigen

man hört die träume
an den bushaltestellen verweilen

morgen, sagt er
werde ich ein dichter sein

schreie, als würde jemand
vergessen

tatjana schreibt einen brief
sie legt ihr herz hinein

er hört es tropfen
er hört ihr gesicht

ihr gesicht ist schöner

was meint er
wir erkennen ihn nicht

eugen onegin der bankangestellte
fragen sie ihn nach einen kredit
vielleicht bekommen sie was

2
Nov
2021

Für Ilse Aichinger ein Gedicht

gestern verschwand sie aus der türe
das teesieb in den händen
ein auge, dass ein anderes zählt
zahlen sind wie tränen
wenn sie uns erreichen tut es
uns schon wieder weh

gestern rannte die türe ihr hinterher
wie eine flüchtige sekunde
wie die nähe von der man nicht reden kann

wie der freiste satz
gesprochen von einer toten
gesprochen von einer dichterin
die nicht vergessen kann
solange nicht...


worte gleiten ab
sehen durch die nase
opfern viel nähe
sagen
dass was deutlich ist wird kaum
einer sagen

schweigen wir

morgen wird die vergangenheit beginnen
werden die türen nicht mehr wissen was
ankommen bedeuten kann
die abschiede umarmen sie und flüstern ihr zu
bleib doch noch ein bisschen

bedeckung für einen hut

artmann gelesen
dann geschrieben
dann die fernsehzeitschrift
der taschenrechner
dann aus dem fenster
die nachbarin winkt
sie fällt aus dem rahmen
sie pfeift nach generälen die ohne blut auskommen
sie trägt einen schwarzen pulli
den pulli habe ich ihr zu meiner verlobung geschenkt
da erzählt artmann dass er aus seife menschen machen kann
nein
das erzählt er nicht
er sagt
wir sind brave ungeduldige mutlose
die tanzen wenn man es ihnen befiehlt

und was wenn man es ihnen nicht befiehlt

gestern lag ein zettel auf der treppe
ich dachte nicht daran ihn aufzuheben
ich wollte nicht
wenn der wille größer ist als der betrug
muss man sich immer für den willen entscheiden
selbst wenn der wille betrug ist und der
betrug wille

artmann war ein dichter
er lebte von großen und von kleinen sätzen
ich weiß es nicht
ich lese nicht
ich schaue mir gesichter an und falle hinein

1
Nov
2021

die steine in zenica

flüstern
sie umarmen
die angst
in ihnen brennt
sie sehen
was nicht
vergessen
werden kann

eine alte frau flüstert
sie flüstert kein gebet
wie sollte sie ein gebet
flüstern

es war weit und breit
nicht die rede
von gebeten
als sie kamen und ihre
tochter und sie holten

die tochter brachten
sie mehrmals am tag um
sie nennen das
normal das im krieg
vergewaltigt wird

die steine erkennen daran
nichts normales
sie erkennen den zug
mit dem die irren durch
die abteile rasen

ihr mut hängt
von ihrer bewaffnung ab
es ist nichts dabei
jemanden zu töten sagen die steine

jemanden zu lieben
sagen sie
das ist die last
mit der wir leben
sagen die steine

sie sehen sie
sie wissen
es vergeht kein tag
an dem es nicht geschieht

jede vergewaltigung ist
krieg gegen die menschheit
jeden tag geschieht es
jeden morgen erwacht die
alte frau und flüstert den steinen
die namen zu

ganz knapp

etwas war oder es geschah
gestern oder
im nächsten augenblick

leiden

er konnte das fenster nicht
öffnen
hätte sie gerne hinein geflüstert
mit dem lautesten flüstern der welt

jemand sagte
es gibt sie noch
die vergessenen nächte
die nächsten worte
das nächste verlassene gemeinsame

etwas war nah
platzte in den spiegel
flüsterte
alle tragen ihre namen davon

was spielt es für eine rolle
ob man vergebens darauf wartet
verlassen zu werden

leiden

jemand hört zu rufen auf
jemand irrt in die gesellschaftlichen mitte
für manche ist es zu oft
andere wieder erfinden phrasen damit
etwas dabei herausgefiltert wird

am morgen
die nacht
am morgen der fallende
der etwas erzählen will

alle tragen namen
sie flüstern sie sich nachts im traum
wenn ihr verlangen mehr als nur phrasen
wünscht

jemand kommt heim
jemand ist heimgekommen
jemand versucht jede nacht heimzukommen

der schlaf der pferde

der schlaf wächst zurück
das pferd nimmt ihn auf
träumt
es würde schlendern über
eine brücke
aus ihren augen kratzt es
den rest von sinnlichkeit
den pferde gerade noch nötig haben

da war viel rauch
doch er reichte nicht
da war viel sterben
aber man zählte nicht

die vielen die zu unrecht
starben
verdarben den schuldigen
den traum

das pferd stand hinter den
träumen
der traum änderte sich

jemand der eben noch vergessen
hatte
wie müde er war
war längst eingeschlafen

wenn er erwacht
wird er im gefängnis erwachen
er wird sich fragen stellen und
vergessen dass die fragen zu nichts taugen

das pferd ähnelt im traum den fragen
es vergräbt sie bevor es erwacht
es vergisst sie
bevor sie begreift

der purzel

purzel erschrak
er hatte ein bild von lenin in
seine arme genommen

das fühlte sich dort
so weich an
wo es nicht
weich sein durfte

er stellte sich lenin
nackt vor
er stellte sich vor
wie marlene ihn in seinen spitzen bart biss

er stellte sich seine augen vor
er fragte sich was kerzenlicht bedeuten kann
in unserem jahrtausend

er fand das jahrtausend fad
ein uhrwerk ist nichts dagegen
alles kam ihm überflüssig vor

lenin fragte ihn
bin ich gezeichnet
er hatte sein kinn angehoben
mit den fingerspitzen
versöhnte sie sich mit seinem mund

dort ist der abgrund lachte sie
das dämmerlicht wurde live übertragen

jeder der kommentieren konnte
kommentierte
einer zog seine elektrischen geräte
zusammen
stapelte sie

so hing alles zusammen

lenin hätte beinah von der liebe
geredet
dick butterman goss sich noch whiskey ein und
als lenin fragte
ob er noch was will
nickte dick und sagte
bist ein kluger mann

alles war so lächerlich
als ginge es um nichts
der verhörer sprach unter
einer decke mit seinem pimmel

seinem pimmel ging es nicht gut
etwas war schief gegangen
die tänzerin saß in der kneipe und fror
sie dachte an das gebiss von herrn jäger

herr jäger war bodenlos
obdachlos
hoffnungslos lag er unter dem sarg
er verschwand nicht
er konnte nicht verschwinden
aber er roch an der zeit

er fragte sich
warum seine soldaten
immer tanzten
wenn er vom ende redete

hätte er vom abgrund geredet
sie hätten nur geredet
aber das ende ließ sie tanzen
ohne dass sie sich bewegten

wie fern alles dort lag
ganz nah beinander
wie nackt lenin war
so nackt konnte nur lenin sein, sagte der volksmund

hinter den treppenstufen standen ein paar gerissene giraffen
den zoo hatten sie hinter sich
sie versteckten sich nicht
sie versteckten ihre bildung

ika schwamm in der sonne
ihre nackheit gehörte nur ihr
sie floh wenn jemand begriff
dass es schlechte gitarrensolis gab
sie lag in den armen einer nacht
die umarmte ihn
so oft sie nur konnte
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